Wissenschaftstheorie


Die Wissenschaftstheorie ist eine seit dem zwanzigsten Jahrhundert eingeführte Disziplin der Philosophie, in Erweiterung von Logik, Metaphysik und Erkenntnistheorie. Sie untersucht Methoden, Struktur und Sprache der Wissenschaften. Vorallem die Entwicklungen der Naturwissenschaften, wie der mathematischen Physik, im neunzehnten Jahrhundert brachen eine Kluft zwischen Philosophie und diesen, vorher ihr zugerechneten Wissenschaften, auf. Die Wissenschaftstheorie versucht von den Wissenschaften zu lernen und ihr ihnen keine philosophischen Theorien vorzuschreiben. Im Hintergrund dieser Bemühungen steht allerdings, wie schon seit der Antike, der Streit der erkenntnistheoretischen Positionen des Empirismus und des Rationalismus. Der Unterschied beider Standpunkte liegt in der Betrachtung dessen, was als Geist oder Bewußtsein in Beziehung zu Körper oder Sein zu verstehen sei.

Die empiristische Sichtweise baut Wissen auf gesicherten Basiselementen, den Sinneserfahrungen, auf und leitet es aus begriffsfreien Erfahrungen ab. Einfache Ideen, die die Außenwelt mit ihren verschiedenen Qualitäten exakt abbilden, kann das Bewußtsein nur durch Erfahrung aufnehmen. Zur Erfahrung gehören, neben den äußeren, durch die Sinnesorgane vermittelten auch die inneren, die Selbsterfahrungen. Diese einfachen Bausteine bilden durch Kombination, Vergleich oder Abstraktion zusammengesetzte Ideen; allerdings ist der Verstand nicht in der Lage, neue Ideen aus sich hervorzubringen. Der Rationalismus ist eine erkenntnistheoretische Position, die gegenüber den sinnlichen Wahrnehmungen den Anteil der Vernunft an den menschlichen Erkenntnisleistungen betont bzw. verabsolutiert. Der menschliche Verstand wird als autonomes Erkenntnisorgan gesehen. Das wahrhaft Seiende ist das im Begriff Gedachte, demgegenüber das Sinnliche als das passive, formlose Material erst mit dem Denken seine Form bzw. begriffliche Gestalt gewinnt. Dem Vernunftbegriff liegt Erkenntnis leistende, d.h. ihre Inhalte allein aus sich heraus erzeugende Vernunft zugrunde.

Der logische Empirismus, eine vorallem in den USA vertretene Fortentwicklung des klassischen Empirismus, vertritt die These zweier Erkenntnisquellen, der Logik und der Erfahrung. Als sinnvoll gelten logische, analytische Sätze, in denen eine Erkenntnis ausgedrückt wird, da sie apriorisch, nach Kant frei jeder Erfahrung sind und jene Sätze einer empirischen Aussage, die dem Sinnkriterium genügen. Das Kriterium, nach dem die Bedingungen der Verifizierbarkeit einer Aussage angegeben werden müssen, richtet sich gegen metaphysische Scheinprobleme der Philosophie, die entstehen, weil Ausdrücke wie "das Nichts" zugelassen werden. Den wissenschaftstheoretischen Grundannahmen einer theoriefreien Basis, der Induktion als Methode neuen Wissens und dessen Verifikation stellte Popper (1902-1996) seinen kritischen Rationalismus mit der Grundannahme gegenüber, keine Erkenntnis sei irrtumsfrei und deshalb müsse alles rational und kritisch überprüft werden. Als Methode sieht er die Falsifikation vor, die wissenschaftliche Aussagen, die letztlich nicht durch Beobachtung zu beweisen sind, als Sätze anerkennt bis eine Bedingung angegeben werden kann, unter der sie zu widerlegen sind. Die analytische Philosophie ersetzt die Vernunftkritik von Kant durch eine logische Analyse der Sprache, da deren unkritischer Gebrauch zu den Scheinproblemen der Philosophie führe. Auf der einen Seite finden sich in der analytischen Philosophie die Vertreter der Philosophie der Gebrauchs- oder Umgangssprache, die meinen, alles zur Klärung philosophischer Fragen läge in der Alltagssprache und auf der anderen Seite jene, die eine ideale Sprache, die der logischen Syntax gehorcht, aus der Umgangssprache entwickeln wollten. Als wesentliches Anliegen dieses Konstruktivismus gilt die Bereitstellung einer Wissenschaftssprache, an die zwei Forderungen gestellt werden, nämlich das Primat der Methode, bei der die unproblematische Lebenswelt als unhintergehbarer Ausgangspunkt genommen wird und das Primat des Dialogs, d. h. ihr Aufbau muß schrittweise und damit intersubjektiv nachprüfbar sein. Die Strömung des Konstruktivismus zieht sich von Pythagoras über Descartes bis in die heutige Mathematik und fordert, daß mathematische Gegenstände erst aus einfachen Grundbestandteilen nach festen Regeln konstruiert werden müssen, bevor sie als existent betrachtet werden. Durch die Berücksichtigung der pragmatischen Ebene der Sprache rückt er in die Nähe des Pragmatismus, einer Lebensphilosophie, die in den USA von Peirce und James begründet, den absoluten Wahrheitsbegriff durch das Prinzip des momentanen Nutzens ersetzt. Gemeinsam mit der in Europa entstandenen Strömung des Positivismus, der aus dem logischen Empirismus hervorgegangen ist, hat er die Orientierung am naturwissenschaftlichen Wissenschaftsideal und damit die Verbindung zu einer logisch-mathematischen und experimentellen Methodik.

Eine Methode, allgemein ein planmäßiges, zielgerichtetes Verfahren, wird, wenn das Ziel die Gewinnung von Wissen ist, als wissenschaftliche Methode bezeichnet und kann mit einem System von Regeln zur Gewinnung und Begründung von Erkenntnissen gleichgesetzt werden. Die Methodologie, als Teil der Wissenschaftstheorie, geht den Fragen nach, welche Methoden angebracht, welche Gewißheitsansprüche ihnen eigen und welche Darstellung wissenschaftlicher Theorien zu wählen sind. Grundlegend für sie ist die antike, auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung von analytischer, induktiver und synthetischer, axiomatisch-deduktiver Methoden, deren Zusammenwirken erst vollkommene Erkenntnis ermögliche. Die analytische Methode geht von begründungsbedürftigen Sätzen aus und verfolgt diese rückwärts auf ihre möglichen Gründe, die synthetische benutzt Prinzipien und untersucht deren Folgerungen. Diese Unterscheidung findet sich ebenfalls für die rationalen, deduktiven Wissenschaften und die empirischen, induktiv verfahrenden Erfahrungswissenschaften, denen die experimentelle Methode der Neuzeit zur Seite gestellt wurde. Die durch Methoden gewonnenen Aussagen werden in ein Gefüge gebracht, das sich einerseits durch seine Allgemeinheit, die Form, andererseits durch seinen Inhalt, der über das bloße Konstatieren von Sachverhalten hinausgeht, auszeichnet. Eine solchermaßen ausgearbeitete Theorie, griechisch-lateinisch soviel wie "Anschauen" und verwandt mit "theos", "Gott", gilt als angestrebter Abschluß einer Wissenschaft und stellt damit Wissen in strukturierter, übersichtlicher Form dar. Analog der Unterscheidung der Wissenschaften gibt es empirische und deduktive Theorien, deren jeweilige Wahrheit in der Wissenschaftsgeschichte, aufgrund ihrer Konkurrenz zu einer anderen über den gleichen Sachverhalt, nicht festgestellt, sondern nur, als mehr oder weniger erfolgreich, an Erfahrungen gemessen werden kann.

Die empirischen Theorien werden durch Induktion gebildet, die auf Basis gut bestätigter Gesetzeshypothesen durch Verallgemeinerung aus Beobachtungssätzen, den Protokollaussagen, aufgebaut sind und eventuell nach Ableitung von Testimplikationen an der Erfahrung geprüft werden. Die Induktion, vom Einzelnen auf das Allgemeine zu schließen, der Erfahrungswissenschaften erweist sich dabei, im Gegensatz zur vollständigen Induktion der Mathematik, in zweierlei Hinsicht als problematisch, wie David Hume (1711-1776) in seiner Kritik an den Urteilen, bei denen aus endlich vielen, beobachtbaren Tatsachen, die zur gleichen Wirkung führen, auf diese Tatsache als Ursache geschlossen wird, nachweist. Ein Versuch, das erste Problem der Rechtfertigung der Anwendung der Induktion zu lösen, stellt Kants Kategorie der Kausalität dar. Dieses Schema sieht vor, daß dem Gesetz der Kausalität die Natur nicht unterliege, vielmehr der Verstand die Natur diesem unterwerfe. Das zweite Problem ist Kriterien anzugeben, die die Voraussetzungen, unter denen die Induktion brauchbar ist, entwickeln. Es soll durch Anwendung von Wahrscheinlichkeiten auf die Hypothesen, Induktivismus, oder durch die Bewährung von Hypothesen gegen viele Falsifikationsversuche, Deduktivismus, gelöst werden.

Die Aussagen deduktiver Theorien werden mit Hilfe der Logik aus Axiomen gewonnen. Ein axiomatisches System besteht aus endlich vielen dieser "ersten Sätze", wie Aristoteles sie nennt, da sie evident und nicht auf Grundlegenderes zurückführbar sind, und allen logischen Folgerungen aus diesen Prinzipien. Wichtigstes Kriterium von Axiomen ist ihre Widerspruchsfreiheit, wird zusätzlich ihre Evidenz, also ihr Wahrheitsanspruch, behauptet, spricht man von einem euklidischen System. Neben diesem Kriterium besteht noch das der Vollständigkeit, nach dem jede logische Wahrheit aus den Axiomen ableitbar, und umgekehrt jede abgeleitete Aussage logisch wahr sein soll.

Allen Theorien, Methoden und damit allen Wissenschaften, exakt oder empirisch, ist gemeinsam, daß sie sich auf eine Logik, im weitesten Sinne die Lehre vom Begriff, vom Urteil und vom richtigen Schließen, beziehen. Die formale, symbolische Logik, oder auch Logistik, die heute betrieben wird, geht auf die aristotelische Syllogistik zurück, die, je nach Interpretation als Begriffs- oder Klassenlogik bezeichnet wird. Die Begriffs- bzw. Urteilslehre zählt zur logischen Propädeutik. Die formale Logik beschäftigt sich allein mit der Form von Schlüssen, ungeachtet des Inhalts oder des Wahrheitsgehalts in deren Aussagen. Die Formalisierung ersetzt die Aussagen durch schematische Buchstaben, die Teile der logischen Struktur, die Junktoren, wie "wenn..., dann", "oder", werden beibehalten. Die moderne Logik verwendet eine extensionale Betrachtungsweise, die sich auf die Zusammensetzung komplexer Aussagen mit Hilfe von Junktoren beschränkt, bei denen sich der Wahrheitswert der zusammengesetzten Aussagen nicht ändert, wenn man Teilaussagen durch andere gleichen Wahrheitswerts ersetzt. Die extensionale Sichtweise steht auch in der Klassenlogik der intensionalen der Begriffslogik gegenüber. Sprachlich werden Begriffe in deren Verknüpfung in den Syllogismen durch Prädikatoren ersetzt, wobei Klassen Ausdrücke für die Umfänge eines Prädikators angeben. Diese mengentheoretische Auffassung von Begriff geht auf die von Frege (1848-1925) eingeführte Unterscheidung in Inhalt, Umfang, Sinn und Bedeutung zurück, bei der die Intension mindestens ein invariantes Merkmal, die Extension die Menge aller Gegenstände, die unter den Begriff als Namen fallen, bestimmen. Mit der Einführung von Quantoren hat Frege 1879 ein erstes formales System der Prädikatenlogik eingeführt, das die Syllogistik als Form einschließt. Bausteine der Quantorenlogik sind der Grundbereich mit seinen Individuen, vertreten durch Gegenstandskonstanten, die Gegenstands- oder Objektvariablen, die Junktoren, der Allquantor und Prädikate verschiedener Stelligkeit, vertreten durch Prädikatkonstanten. Für die Prädikatenlogik ist ein Herstellungsverfahren für Figuren aus Grundfiguren, dem Alphabet, nach festen Regeln angebbar, das die Formalisierung erlaubt. Dieses Kalkül bedarf der Interpretation, indem man die Individuen des Grundbereichs und die Prädikate konkretisiert und semantischer Regeln, die den Wahrheitswert von Prädikation, den Junktoren und des Allquantors festlegen. Das Axiomensystem der Prädikatenlogik ist vollständig und widerspruchsfrei, wie Gödel 1930 beweisen konnte, in ihrer zweiten Stufe, wenn man Prädikatvariablen zuläßt und quantifiziert, zwar konsistent aber unvollständig.

Durch die Anwendung einer solchen, mathematisch-mengentheoretisch fundierten Logik in der Wissenstheorie wäre der Methodenstreit beizulegen, wenn es nicht innerhalb zu den sogenannten Antinomien käme. Eine der berühmtesten Antinomien, soviel wie "gegen" und "Gesetze", wurde von Bertrand Russell (1872-1970), englischer Philosoph und Mathematiker, aufgedeckt. Eine Menge U sei die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht enthalten. Ist U nun in U enthalten, teilt also die definierende Eigenschaft aller Elemente, sich selbst nicht zu enthalten, liegt U nicht in U, woraus aber wiederum folgt, das U doch in U enthalten ist. Ein solcher Zirkelschluß, der gegen den Satz des verbotenen Widerspruchs verstößt, läßt ein System zusammenbrechen, da alles oder nichts beweisbar ist. Neben diesen logischen sind auch semantische Antinomien bekannt, wie das Paradoxon des kretischen Lügners Epimenides, der behauptet, alle Kreter würden lügen. Dieser Problematik, die gegen die Extensionalitätsthese, nach der der Umfang eines Begriffs allein die Bedeutung ausmache, spricht, versucht man heute in einer mehr inhaltlichen, intensionalen Begriffsbildung Herr zu werden. Die logische Propädeutik, aus der analytischen Philosophie und ihrer Sprachkritik entstanden, untersucht die sprachlichen Voraussetzungen der Logik. Den Vorgang einem Gegenstand ein Wort zuzuordnen nennt sie Prädikation, das Wort selbst Prädikator. Eine Eigenschaft, das Inhaltliche, kommt jedem Gegenstand zu und kann selbst Prädikator sein. Kennzeichnungen spezifizieren Gattungsprädikatoren durch Eigennamen und Indikatoren, als da Personal- und Demonstrativpronomina und Adverben des Ortes und der Zeit sind. Eine Wissenschaft normiert die Prädikation, sie führt Termini explizit oder exemplarisch als Prädikatoren ein. Eine Terminologie ist ein System aus Termini und Definitionen. Eine Definition kombiniert bekannte normierte Prädikatoren zu einem neuen Terminus. Begriff und das Wort "Begriff" versucht Dauenhauer definitorisch wie folgt auf den Begriff zu bringen : "“"Begriff" ist zwar ein Terminus, d. h. ein normierter Prädikator der Wissenschaftssprache, aber er ist mit Terminus nicht gleichzusetzen: Ein "Begriff" ist nicht an ein bestimmtes Wort gebunden, er kann durch mehrere Termini ausgedrückt werden. Wir können sagen: Der Terminus A drückt den gleichen Begriff aus wie der Terminus B, sofern A und B definitorisch identisch sind. Der "Begriff" als die Bedeutung des Ausgedrückten ist zwar stets an einen bestimmten Terminus gebunden, aber er ist mehr als ein bestimmter Terminus, da er ja auch durch einen anderen Terminus ausgedrückt werden kann." ([DAU] S. 43) "Der Begriff ist die Abstraktion (Absehen von der Lautgestalt) eines Terminus. Nur ein Terminus ist definierbar, kein Begriff, denn dieser liegt ja jenseits der Termini. (...) Wissenschaftlich definiert werden können nur Termini, nicht ihre Begriffe oder die Bedeutungen von Prädikatoren. Versuche, die Bedeutung zu definieren, sind nur in der nicht normierten Alltagssprache möglich, und hier nur auf Kosten der Logik und Eindeutigkeit." ([DAU] S. 44)

Als wichtiger Forschungsgegenstand in Zusammenhang mit Sprache und Logik gilt die Semiotik, zu griechisch"“semiotikos". "“zum Bezeichnenden gehörend", eine Lehre oder Theorie von der Entstehung, dem Aufbau und der Wirkweise von Zeichen. Untergliedert wird die Semiotik in Pragmatik, die Beziehung eines Zeichens und dessen Benutzer, in der auch Probleme der Hermeneutik, einer wissenschaftstheoretischen Position der Textauslegung, behandelt werden, in Semantik, die Beziehung, also die Bedeutung von Zeichen und dem Bezeichneten und die Syntaktik, die Beziehung der Zeichen untereinander. Ein Zeichen ist hierbei nicht die Realität einer Gegebenheit, sondern die Zuordnung zu einem bestimmten Objekt, Sachverhalt oder Empfinden. Bildet ein Zeichen sein Objekt ab und hat mit ihm mindestens ein Merkmal gemeinsam, ist es ein Ikon, steht es in einem physischen Zusammenhang als Orientierungshilfe, ist es ein Index und besteht kein direkter, sondern auf Vereinbarung beruhender Zusammenhang, handelt es sich um ein Symbol. Die Frage der Relation von Zeichen und Bedeutung, wofür es also letztlich steht, ist sowohl sprachlich als auch nichtsprachlich immer noch ungeklärt. Das sogenannte semiotische oder semantische Dreieck von Odgen und Richards (1923) aus Zeichen(körper), begrifflicher Vorstellung und bezeichnetem außersprachlichen Objekt sieht für die Beziehung von Zeichen und bezeichneter Sache eine indirekte, konventionelle Zuordnung vor und ist, wegen der traditionellen These der Universalien, die zwischen Zeichen, der Sprache und der Welt als Gegenstände sind, gleichermaßen berühmt und umstritten. Der eingangs erwähnte Streit um Einheit bzw. Uneinheit von Wissen und Welt beherrscht damit immer noch die Diskussion in den Wissenschaften.


Informatik

Inhalt

Uwe Poborski: KategoSphär