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Nähere Information zum Namensgeber

DOKUMENTATION ZUR JUDENVERFOLGUNG IN GUMMERSBACH WÄHREND DER HERRSCHAFT DES NATIONALSOZIALISMUS

Knabe, Werner / Mecke, Heinrich / Pomykaj, Gerhard / Woelcke, Jürgen:
hg. v. der Stadt Gummersbach, Der Stadtdirektor, Rathausplatz 1, 51643 Gummersbach 1995

Die Familie Simons (S. 18)

Das Ehepaar Dr. Alfred Simons und Dr. Sophie Simons, geb. Hanisch, kam 1930 nach Gummersbach. Im März 1930 eröffnete Dr. Alfred Simons als erster Kinderarzt im Oberbergischen seine Praxis. Frau Dr. Sophie Simons war die erste weibliche praktische Ärztin in Gummersbach. Beide hatten ausgezeichnete Examina abgelegt, und aufgrund ihrer Kompetenz fanden sie in kurzer Zeit einen großen Patientenstamm.
Ihre Situation änderte sich nach dem März 1933 schlagartig. Ein Freund der Familie, der Prokurist Walter Fischbach, schildert später ihr Schicksal. Ein Vergleich mit anderen Dokumenten ergab, daß seine Erinnerungen zuverlässig sind.

Walter Fischbach schreibt 1961:
"Ich lernte das Ehepaar Dr. Simons etwa 1931/32 bei mehreren Hausbesuchen bei meiner erkrankten Mutter kennen. Es entwickelte sich ein recht freundschaftliches Verhältnis. Das Ehepaar praktizierte seit etwa 1930 in Gummersbach. Dr. Alfred Simons war Kinderarzt, Frau Dr. Sophie Simons praktische Ärztin.
Die gut angehende Praxis erlitt mit dem Jahre 1933 einen Rückschlag. SA-Posten standen vor dem damaligen Wohn- und Praxishause der Eheleute Simons, Gummersbach, Bismarckstr. 1, mit dem Schild: "Geht nicht zu jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten". Dr. Alfred Simons ist Jude, Frau Dr. Sophie Simons Arierin. Ich selbst habe diese SA-Posten gesehen, als ich zu einem Besuch in das Haus ging. Noch im Jahre 1933 wurde Herrn Dr. Alfred Simons die Kassenpraxis entzogen. Von nun an beschränkte sich seine ärztliche Tätigkeit auf Privatpatienten.
Im Jahre 1937 kam für das Arztehepaar Simons ein neuer Schlag. Herrn Dr. Alfred Simons wurde jegliche ärztliche Tätigkeit untersagt und die Approbation entzogen. Nun war Frau Dr. Simons alleinige Ernährerin der Familie, zu der außer dem Sohn Klaus noch die alte Mutter des Dr. Alfred Simons gehörte. Herr Dr. Alfred Simons wurde zum Chauffeur seiner Frau bei den Hausbesuchen. Noch im gleichen Jahre erfolgte ein Prozeß vor der Ärztekammer Düsseldorf gegen Frau Dr. Sophie Simons wegen angeblicher Zusammenarbeit mit ihrem Manne. In diesem Prozeß soll die Auflösung der Ehe angedeutet worden, aber vom Verteidiger darauf hingewiesen worden sein, daß kein Gesetz vorliege, wonach eine Auflösung erzwungen werden könne.
Inzwischen hatte das Ehepaar Simons ihr Haus Gummersbach, Seßmarstr. 5, bezogen. Herr Dr. Alfred Simons hatte es aufgeben müssen, seine Frau bei Patientenbesuchen zu fahren. Trotzdem wurde Frau Dr. Sophie Simons weiterhin angefeindet. Bei den Reklamevorführungen im Lichtspieltheater erschien der Hinweis: "Geht nicht zu jüdisch versippten Ärzten." Es soll vorgekommen sein, daß Patienten der Frau Dr. Sophie Simons von der Winterhilfe ausgeschlossen wurden. Im Krankenhaus wurden Patienten, die von Frau Dr. Simons eingewiesen worden sind, von Schwestern Vorwürfe gemacht, daß sie sich von Frau Dr. Simons haben behandeln lassen. Die Geburtshilfe im Krankenhaus wurde Frau Dr. Simons entzogen. Es ist vorgekommen, daß Kinder, die von Frau Dr. Simons behandelt wurden, seitens der Lehrerschaft Vorhaltungen gemacht wurden. Der Sohn, Klaus Simons, damals 7 - 8 Jahre alt, bekam Schwimmverbot in der Städtischen Badeanstalt Gummersbach. Das Kind wurde von Schulkameraden viel gehänselt. Es wurde bei solchen Gelegenheiten schon von Erwachsenen der Kinderschar entrissen und nach Hause gebracht. ...
Im Frühjahr 1939 wickelte Frau Dr. Sophie Simons unter Aufrechterhaltung ihrer Praxis alles Erforderliche für die Ausreise ab und traf mit ihrem Mann für einen einwöchigen Aufenthalt in England zusammen, um dann mit ihm und ihrem Kind von Rotterdam die Ausreise nach Australien anzutreten. Der Anfang in Australien war für beide schwer. Die Mutter von Frau Dr. Sophie Simons, Frau Adele Hanisch, war etwa ab 1950 für ca. zwei Jahre zu Besuch bei ihrer Tochter und berichtete nach ihrer Rückkehr von langen, bitteren Jahren des Existenzaufbaues.
Wie richtig Frau Dr. Sophie Simons die Entwicklung im Frühjahr 1939 voraussah, zeigen die Schwierigkeiten, die man der Ehefrau des Dr. Fritz Hanisch, Bruder der Frau Dr. Sophie Simons, geb. Hanisch, in der weiteren Zeit machte. Frau Dr. Hanna Hanisch, geb. Elbing, ist Ärztin und Arierin. Ihr Mann, Dr. Fritz Hanisch, ist Arier und nahm als Stabsarzt am Weltkrieg teil. Im Jahre 1942 wurde Frau Dr. Hanna Hanisch eine Assistentenstelle im Krankenhause Gummersbach abgelehnt mit der Begründung, daß sie mit einer Jüdin in Hausgemeinschaft lebe. Später hat man aus gleichem Grunde versucht, eine inzwischen innegehabte Assistentenstelle Bergisch-Gladbach ihr zu nehmen.
Wegen Berufstätigkeit hat Frau Dr. Hanna Hanisch ihr Kind frühzeitig zum Kindergarten Karlstraße geben müssen. Dieses Kind wurde zeitweise von der alten Mutter des Dr. Alfred Simons zum Kindergarten gebracht. Die Leitung des Kindergartens hat Frau Dr. Hanisch wissen lassen, daß das Kind nicht mehr von der Jüdin gebracht werden dürfe. (Die Mutter des Dr. Alfred Simons war im Hause Seßmarstr. 5 verblieben, wo auch inzwischen Frau Adele Hanisch, die Mutter von Dr. Fritz Hanisch, Wohnung genommen hatte.) die Mutter des Dr. Alfred Simons ist dann auch im Dezember 1944 ins Konzentrationslager Theresienstadt gekommen, wo sie verstorben ist."

Aus erhaltenen Briefen von Dr. Alfred Simons und Dr. Sophie Simons läßt sich noch einiges ergänzen. So verlor Frau Dr. Simons ca. die Hälfte ihrer Patienten, sie blickte aber dankbar zurück auf die "vielen Patienten und Freunde, die mir trotz aller Drohungen treu zur Seite standen."

Über die Ereignisse im November 1938 schreibt Dr. Alfred Simons:
"Im Laufe der Verfolgung im November 1938 wurde ich in "Schutzhaft" genommen und verbrachte einen Tag im Gefängnis der Stadt Gummersbach. Nach meiner Freilassung wurde mir nahegelegt, bis spätestens 31.12.1938 aus Deutschland zu verschwinden, da sonst sehr unangenehme Folgen für mich erwachsen würden."
Er fand für einige Monate Asyl in der Schweiz. Während der Abwesenheit ihres Mannes ließ man Frau Dr. Sophie Simons nicht in Ruhe, die SS setzte zu einem nächtlichen Sturm auf ihr Haus an. Am 22.4.1939 verließen Alfred, Sophie und Klaus Simons mit der „Aagtekerk“ Rotterdam in Richtung Australien.
Diese Ausreise war aber nur möglich geworden, weil Frau Leonie Weller über ihre in Australien lebende Schwester eine Aufenthaltsgenehmigung für die Familie Simons erhielt. Eine weitere Patientin für die Familie Simons beschaffte die notwendigen Devisen, eine damals mehr als schwierige Aktion.
In Australien arbeitete Herr Dr. Simons zunächst als angestellter Farmer, danach mußte er noch einmal mehr als zwei Jahre studieren, da sein deutsches Examen nicht anerkannt wurde. Erst nach 1950 hatte die Familie die schlimmsten finanziellen Engpässe überwunden, Dr. Alfred und Dr. Sophie Simons konnten wieder in ihren angestammten Berufen arbeiten.
Der Mutter von Dr. Alfred Simons, Hulda Simons, wollten das Ehepaar die Reise ins Ungewisse nicht mehr zumuten. Frau Hilda Simons war 1933 zusammen mit ihrem Ehemann David Simons zu ihrem Sohn nach Gummersbach gezogen, nachdem David Simons sein gutgehendes Geschäft in Köln wegen seiner jüdischen Abstammung aufgeben musste. Er verstarb im Jahr 1937.
Nach ihrer Emigration glaubte das Ehepaar Simons Frau Hulda Simons gut versorgt. Frau Dr. Hanna Hanisch, die Schwägerin von Dr. Sophie Simons, kümmerte sich um sie, gemeinsam lebte man im Haus Seßmarstr. 5. Trotz der immer größer werdenden Einengung des jüdischen Lebensraumes konnten sich selbst die verfolgten Juden nicht vorstellen, dass die Nazis später die systematische physische Vernichtung möglichst aller Juden in die Tat umsetzten. Die Entscheidungen zum organisierten Holocaust fielen auch erst 1941/42.
Nachdem Frau Hulda Simons seit September 1941 bereits durch das Tragen des „Judensterns“ öffentlich gebranntmarkt worden war, wurde die nun 74jährige im September 1944 in das Sammellager Köln-Müngersdorf transportiert. Nach ihrer Ausmusterung als nicht arbeitsfähig erfolgte der Transport nach Theresienstadt. Die genauen Umstände ihres Todes, bzw. genauer ihrer Ermordung sind nicht bekannt, als Todestag wurde deshalb der Tag des Kriegsendes festgelegt.
Die folgenden Erinnerungen des Nachbarn Karl Mücke und ihrer zeitweisen Leidensgenossin Frau Henriette Kirmse schildern die Umstände ihres Transportes nach Köln. Ungenannt begegnen wir Frau Hulda Simons noch einmal in dem unten abgedruckten Bericht „Wir gingen durch eine schweigende Stadt“ (siehe Seite 38).

Herr Karl Mücke schreibt 1960:
„Ich wohne seit dem Jahre 1938 in Gummersbach, Seßmarstr. 5. In dem gleichen Haus wohnte bis September 1944 auch Frau Hulda Simons. Frau Simons war Jüdin. Ich konnte dies daran erkennen, dass sie gezwungen war, den Judenstern zu tragen. Im September 1944 - das genaue Datum kann ich nicht mehr angeben - wurde Frau Simons deportiert. Ich kann mich an den Zeitpunkt noch gut erinnern, da ich einige Tage vorher die Mitteilung bekommen hatte, dass mein Sohn in Italien gefallen war. Frau Simons hat mir damals noch konduliert. Weiter kann ich mich noch daran erinnern, dass wir damals alle gesagt haben, dass es unverständlich sei, dass so kurz vor Kriegsende - wir waren damals alle der Ansicht, dass der Krieg bald zu Ende sein würde - noch alte jüdische Frauen verschleppt würden. Frau Simons wurde kurz vor ihrem 75. Geburtstag deportiert. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass der Polizeibeamte, der Frau Simons abholen sollte, gebeten hat, Frau Simons zur Polizeistation zu bringen, da es ihm sehr schwer fallen würde, die alte Frau noch mit Gewalt abführen zu müssen. Frau Simons ist dann am gleichen Tage von zwei Frauen, mit denen sie in Haushaltsgemeinschaft lebte, zur Polizeistation gebracht worden. Diese beiden Frauen sind einige Jahre nach dem Kriege verstorben, so dass sie heute zu dieser Frage nicht mehr vernommen werden können. Ich habe dann nur noch gerüchteweise gehört, dass Frau Simons zunächst für einige Wochen nach Köln gebracht und dann mit einem Sammeltransport in ein Konzentrationslager weitergefahren worden ist. Ob dies stimmt und wann der Transport von Köln und wohin abgegangen sein soll, kann ich nicht sagen. Soviel steht aber fest, dass ich Frau Simons nicht wieder gesehen habe, und ich habe auch nirgends gehört, dass sie nach dem Krieg noch gelebt haben soll.“

Die selber als Jüdin verfolgte Frau Henriette Kirmse berichtet 1960:
„Ich wohne seit dem Jahre 1938 in Gummersbach. Ich habe die Familie Simons gut gekannt. Unsere Familien waren befreundet. Es war mir bekannt, dass die Simons Juden waren. Ich selbst bin auch Jüdin; hatte aber einen Mann, der evangelisch war. Wir waren von 1933 ab laufend Belästigungen durch die damaligen NS-Behörden ausgesetzt. Am 11. September 1944 wurden Frau Simons - ihr Ehemann war inzwischen verstorben, und die Söhne waren ausgewandert - und ich von der Polizei verhaftet und nach Köln in ein Sammellager gebracht. Nach etwa drei Wochen wurden wir Inhaftierten getrennt, und zwar die arbeitsfähigen wurden zum Arbeitseinsatz und die alten und kranken wurden nach Theresienstadt verschickt. Frau Simons war damals schon über siebzig Jahre alt und kam daher auch mit ins Konzentrationslager. Ich wurde zum Arbeitseinsatz nach Kassel transportiert. Frau Simons habe ich also Ende September 1944 letztmalig gesehen. Nach Kriegsende habe ich dann gehört, daß Frau Simons Anfang Dezember 1944 im Konzentrationslager an Entkräftung verstorben sei. Ob dies den Tatsachen entspricht, kann ich nicht sagen. Ich habe aber Frau Simons nie wieder gesehen." G. P.

Über Theresienstadt steht in der Brockhaus-Enzyklopädie (Ausgabe 1993):
„Theresienstadt, tschechisch Terezin, Stadt im Nordböhmischen Kreis, Tschechische Republik, 160 m ü. M., an der Eger nahe ihrer Mündung in die Elbe, unweit von Leitmeritz, (1985) etwa 2.700 Einwohner, Gedenkstätte (in der Kleinen Festung) für die Opfer faschistischer Gewaltherrschaft im jüdischen Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt, Nahrungsmittel-, Holz-, Strickwarenindustrie - Theresienstadt wurde 1780 als Festung gegründet. Nach Aufgabe der Festungsfunktionen (1882) diente Theresienstadt weiterhin als Garnisonsort.
In Theresienstadt bestand neben dem Gestapo-Gefängnis (ab Juni 1940) in der Kleinen Festung November 1941 bis Mai 1945 ein Konzentrationslager, das nach Evakuierung aller Bewohner die gesamte Stadt umfasste. Theresienstadt diente zunächst vor allem als zentrales Sammellager für Juden aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, ab Anfang 1942 als Ghetto für Juden über 65 Jahre (>Altersghetto<) und >privilegierte< Juden (>Vorzugslager<) wie schwer geschädigte oder hoch ausgezeichnete jüdische Teilnehmer des Ersten Weltkrieges (später auch prominente Juden) vor allem aus Deutschland, Österreich und dem Protektorat sowie als Sammelstelle bzw. Durchgangslager für Deportationen in die Vernichtungslager. Im Rahmen der national-sozialistischen Vernichtungspolitik stellte Theresienstadt ein Mittel zur Aufrechterhaltung der >Umsiedlungslegende< und zur Zerstreuung ausländischer Kritik dar. Bis 1945 wurden rund 141.000 Personen nach Theresienstadt verschleppt, rund 35.000 starben in Theresienstadt selbst, nur 14.000 überlebten.“

Seite 38, Absatz 4:
... Draußen waren inzwischen ein paar Omnibusse vorgefahren. Die Lagerinsassen, vor allem die Angehörigen derer da drinnen, hatten sich vor dem Bus aufgestellt. Posten mit Maschinenpistolen bildeten eine Absperrung. Jetzt kamen sie heraus, die Armen, Gebrechlichen. Eine Bekannte kam mit meiner Mutter, sie war 74 Jahre alt und stammte aus unserem Ort (heute wissen wir: es war Frau Hulda Simons. J.W.).