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Kyoto und der Emissionshandel: Wie schafft man Win-Win-Situationen?

Einführung

Problem: Die EU hat sich im Kyoto-Protokoll zur Reduktion des CO2-Ausstoßes verpflichtet, um Klimaveränderungen durch globalen Temperaturanstieg entgegenzuwirken. Wie aber schafft man für die einzelnen ökonomisch Handelnden (hier: CO2-produzierende Firmen) die notwendigen Anreize, um CO2 tatsächlich zu reduzieren?

Lösungsansatz: Indem man einen Markt für Emissionsrechte schafft, überführt man die ökologische Größe "CO2-Ausstoß" in ein ökonomisch handelbares Gut. Wenn man die Bedingungen dieses Marktes richtig vorgibt, dann "findet" er "von selbst" die richtigen Maßnahmen, um die ökologischen Ziele zu erreichen. Aber wie müssen diese Bedingungen aussehen? Wann ist das für den Einzelnen sinnvolle Individualziel auch der richtige Schritt auf dem Weg zum Globalziel, der CO2-Minimierung bei minimalen Kosten für die Volkswirtschaft?

Ziel: Verständnis der grundlegenden Mechanismen des Emissionshandels. Es gilt zu erkennen, wie durch einen Markt für Emissionsrechte eine Win-Win-Situation entstehen kann: Gewinn für den Verkäufer, Gewinn für den Käufer, Gewinn für die Allgemeinheit.

Methode: In einer Computersimulation entwickeln wir ein vereinfachtes Auktions- und Preismodell, welches die Modellierung des Marktgeschehens ermöglicht.

 

Das Grundprinzip des Emissionshandels bei 2 Unternehmen: Win-Win-Situationen schaffen

Wieso bringt denn ein Handel mit fiktiven Emissionsrechten überhaupt Vorteile? Dazu schauen wir uns ein einfaches Beispiel an (nach [Erhart/Schleich2003]), in dem es nur zwei Unternehmen A und B gibt: beide stoßen jeweils 11.000 t CO2 pro Jahr aus. Eine Zielvorgabe nach dem Kyoto-Protokoll zwingt nun, die Gesamtmenge von 22.000 t auf 20.000 t zu reduzieren. Wie ist dieses Ziel kostenoptimal zu erreichen? Nehmen wir an, dass für Unternehmen A Minderungskosten von 5 € je eingesparter Tonne CO2 entstehen, für Unternehmen B 9 €.

Methode 1 (Staatliche Vorgabe): Da das Globalziel eine Reduktion um 9.1% ist, wird jedes Unternehmen "verdonnert", 9.1% seiner eigenen Emissionen einzusparen. Es entstehen folgende Kosten:

 

Unternehmen A

Unternehmen B

Gesamt

Ist-Emission

11.000 t

11.000 t

20.000 t

Minderung

 -1.000 t

 -1.000 t

Ziel-Emission

10.000 t

10.000 t

20.000 t

Minderungskosten

  5.000 €

  9.000 €

14.000 €

Gesamtkosten

  5.000 €

  9.000 €

14.000 €

Methode 2 (Staatliche Vorgabe + Emissionshandel): Die Vorgaben bleiben gleich, aber jedes Unternehmen darf sich auch Emissionsrechte kaufen bzw. überschüssige Emissionsrechte verkaufen. Im Beispiel unserer beiden Unternehmen entschließt sich Unternehmen A, eine Minderung von 2.000 t vorzunehmen und die überschüssigen 1.000 t an Unternehmen B zu verkaufen. Beide einigen sich auf einen Preis von 7 € je Emissionsrecht t CO2. Es entstehen folgende Kosten:

 

Unternehmen A

Unternehmen B

Gesamt

Ist-Emission

11.000 t

11.000 t

20.000 t

Minderung

 -2.000 t

       -

Rechtehandel

  1.000 t

 -1.000 t

Ziel-Emission

10.000 t

10.000 t

20.000 t

Handelsbilanz [€]

-7.000 €

  7.000 €

0 €

Minderungskosten

10.000 €

       -

10.000 €

Gesamtkosten

  3.000 €

  7.000 €

10.000 €

In beiden Fällen wurde das Gesamtemissionsziel (20.000 t) erreicht. Methode 2 ist aber klar besser, denn Unternehmen A hat gewonnen, weil es nur 3.000 € statt 5.000 € zur Erreichung seines Emissionsziels aufwenden musste. Unternehmen B hat gewonnen, weil es nur 7.000 € statt 9.000 € aufbringen musste. Und die Volkswirtschaft hat gewonnen, weil das Kyoto-Minderungsziel um 4.000 € billiger für die deutsche Wirtschaft erreicht wurde. Dies nennt man eine Win-Win-Situation. Durch die Gesetzte des freien Marktes wurde die kostengünstigste Reduktionsvariante gefunden.

 

Emissionshandel bei N Unternehmen

In der Realität ist natürlich die Sache etwas schwieriger als im obigen Beispiel:

o        Es gibt viele Unternehmen, nicht nur zwei.

o        Es muss eine faire Zuteilung (Allokation) für die erlaubten Emissionen gefunden werden.

o        Jedes Unternehmen hat nun eine bestimmte Initialemission T0 (ohne Minderung, ohne Rechtehandel) und ein staatlich vorgegebenes Emissionsziel. Beide Emissionswerte können sich auch im Laufe der Zeit ändern.

o        Die Minderungskosten können in komplizierterer Weise von der Minderungsmenge abhängen

o        Die Unternehmen werden in der Regel nicht bereit sein, ihre (Minderungs-) Kostenstrukturen offenzulegen.

o        Es muss ein fairer Preis für den Handel mit Emissionsrechten gefunden werden.

Das Problem der fairen und gerechten Zuteilung (Allokationsproblem) ist ein schwieriges Problem in sich selbst, wir wollen es hier nicht behandeln, sondern von bereits vorgegebenen Zuteilungen ausgehen.

Wenn viele Handelspartner am Emissionsrechtehandel beteiligt sind, wird man in der Realität oft eine Auktion durchführen. Die spielerische (spieltheoretische) Simulation von Auktionen ist ein wichtiger Anwendungsfall für Simulationen. Nur so läßt sich vorab feststellen, ob ein bestimmtes Regelsystem auch zu global sinnvollen Resultaten führt.

Die Aufstellung der "richtigen" Regeln für Auktionen ist ein Kapitel für sich und wird in Abschnitt Auktionen.html behandelt. Dort werden Begriffe wie Sealed-Bid-Auktion, Clearing-Preis, Banking usw. erklärt.

Neben der Simulation von Auktionen brauchen wir noch eine Kostenstruktur für die Minderungskosten jedes Unternehmens: Seien

die Kosten, die Unternehmen i aufbringen muss, um seine Ist-Emission T um eine Tonne CO2 zu senken. Man nennt diese Kosten auch die Grenzkosten ki(T), weil sie angeben, wieviel die Minderung um die nächste (letzte) Tonne CO2 kostet, gegeben die aktuelle Ist-Emission T. Die Grenzkosten werden also höher, je weiter die Minderung fortschreitet, eine in der Regel plausible Annahme ("die erste Tonne ist die leichteste"). Die lineare Näherung wird natürlich nur in einer gewissen Umgebung von der Initialemission T0 gültig sein. (Die konkrete Formel  ist nur ein Beispiel, genausogut – und in der Realität in der Regel der Fall – könnten die Grenzkosten ki(T) in tabellarischer Form gegeben sein.)

Die Gesamtkosten Ki(T) für eine Minderung um x=(T0–T) Tonnen CO2, ausgehend von einer Initialemission T0, betragen dann:

           

Beispielsweise sehen die Grenzkosten ki(T) und die Gesamtkosten Ki(T) für die ersten zehn Tonnen unterhalb der Initialemission T0 = 80 Tonnen CO2 wie folgt aus (ai=75, bi=0.9):

Ein Punkt der gelben Kurve ist also die Fläche unter der violetten Kurve, ausgehend vom rechten Rand T0=80 bis zum aktuellen Punkt T.

Jedes Unternehmen wird nun Minderungen durchführen oder Rechte einkaufen, je nachdem wie es damit beim erwarteten Preisgefüge seinen Gewinn maximieren und Kosten minimieren kann.

Man kann sich nun überlegen, dass es auch für N Unternehmen bei gegebenen Kostenstrukturen und Emissionszielen eine bestimmte Optimalkonstellation der Minderungen ergibt, die das Emissionsziel zum volkswirtschaftlich günstigsten Preis erreicht. Wie man die Optimallösung findet, ist Gegenstand von Übung 3 und Übung 4.

Simulation im Lernspiel

Wichtige Fragen, die man durch Simulation im Gruppenspiel beantworten kann, sind: Kann man den Emissionshandel so einrichten, dass die Teilnehmer das volkswirtschaftliche Optimum erreichen oder diesem nahe kommen? Gilt dies auch, wenn den Teilnehmern die Kostenstrukturen der anderen nicht bekannt sind? Stellen sich faire Tradingpreise ein? Ist es sinnvoll, wenn Teilnehmer mehrere (Ver-) Kaufgebote zu unterschiedlichen Preisen abgeben können? u.a.m.

Eine Sealed-Bid-Auktion für den Emissionshandel ist in EmiHandel.xls umgesetzt. (Eine vereinfachte Variante – ohne Banking, nur max. 1 Gebot je Käufer – findet sich in EmiHandelLight.xls.) Die Mappe erlaubt die Simulation des Marktgeschehens für bis zu 5 Spieler (Unternehmer). Das Spiel verläuft in Blatt EmissonSB nach folgendem Muster:

1.      Jeder Spieler vertritt ein Unternehmen, das ein bestimmtes Emissionsziel, eine Initial-Emission T0 und eine Kostenstruktur für Emissionsminderungen hat (Parameter a,b). Diese Daten stehen in Zeilen 18-24 und können mit dem Button "+/-" neben den Zeilenköpfen ein- und ausgeblendet werden.

2.      Mit Button "Reset" beginnt ein neues Spiel: der Verlaufsspeicher wird gelöscht und die Zeit auf Periode t=0 gesetzt.

3.      Die Spieler nennen dem Spielleiter in jeder Runde ihre angebotene Verkaufsmenge (³0) und 0-2 Kaufgebote (Menge + Preis). (Bei EmiHandelLight.xls sind hier nur 0 oder 1 Kaufgebot erlaubt.)

4.      Der Spielleiter trägt Rechteverkäufe und –käufe in die Mappe ein (grüner Bereich) (bzw. die Daten werden automatisch übertragen beim Multi-Client-Spiel) und führt mit dem Button "Auktion" die Sealed-Bid-Auktion durch. Als Ergebnis werden die Zahlen im gelben Bereich ausgerechnet:

·         Handelspreise: PYB- und Clearing-Preis (Spalte P)

·         Handelsmenge (Zelle O6)

·         Handelsbilanz [Rechte]: tatsächlich realisierte Rechteverkäufe und –käufe je Spieler (Zeilen 9 u. 10).

5.      Nun wird die Handelsbilanz in € umgerechnet (Zeilen 11 u. 12), die Verkäufer nehmen etwas ein, die Käufer haben Kosten (negativ), beide Summen saldieren sich zu 0. Je nachdem, welchen Wert "PYB-Schalter" hat (0 od. 1), ist der relevante Preis der Clearing-Preis oder der PYB-Preis.

6.      Nach Abschluss des Handels ergeben sich die Minderungsbedarfe (Zeile 13, immer ³0) und daraus mit der bekannten Kostenstruktur die Minderungskosten (negativ).

7.      Die Gesamtbilanz [€] ergibt sich als Summe ( Handelsbilanz [€] + Minderungskosten ) in Zeile 15.

8.      (nur  EmiHandel.xls) Ein etwaiges Banking wird je Unternehmen automatisch in Zeile 16 eingetragen, wenn auch bei Minderung=0 noch Rechte übrigbleiben (viele Zukäufe oder viel Banking aus Vorperioden)

9.      Mit Button "t++" wird die Handelsperiode abgeschlossen: Speichern der Ergebnisse in Verlaufsspeicher, Übertrag des Bankings (Zeile 16) auf "Banking Vorperiode" (Zeile 5) (nur  EmiHandel.xls) und Weiterschalten des Periodenzählers t.

10.  Weiter bei 3.

In 3 Diagrammen können die Spieler den Verlauf von Auktionspreis, den Verlauf der Kosten (Summe über alle Unternehmen) und die kumulierten Kosten (ein Balken je Unternehmen) beobachten. In den letzten beiden Diagrammen werden jeweils auch die optimalen Kosten gegenübergestellt, das sind die Kosten die das gesetzte Emissionsziel zu volkswirtschaftlich minimalen Kosten erreichen (s. Übung 3 + 4, Berechnung in Blatt OptimEmi)

Jeder Spieler sieht die Kosten, die er zur Erreichung seines Emissionsziels aufbringen muss, und kann diese mit den Optimalkosten vergleichen.

Die wichtige Frage: Führt individuell-rationales Handeln zu einem Gleichgewichtszustand, bei dem das Auktionsergebnis sich dem (volkswirtschaftlichen) Optimalergebnis annähert?

Durchführung als Gruppenspiel

Damit das Simulationsspiel realitätsnah durchgeführt werden kann, ist es wichtig, dass über den gesamten Spielverlauf eine einheitliche Informationspolitik eingehalten wird.

Idealerweise geben die Spieler je Runde ihre Angaben ab, ohne die Aktionen der Mitspieler in dieser Runde zu kennen. Sie kennen nur das Verhalten der Mitspieler aus den vorherigen Runden. Dies läßt sich organisatorisch durchführen, indem jeder Spieler sein Gebot verdeckt auf einen Zettel notiert und dann alle Zettel gleichzeitig umgedreht werden.

Variante 1 (maximale Information): die Spieler kennen (im Gegensatz zum realen Markt) die Eckdaten aller anderen Spieler (Kostenstrukturen, Emissionsziele) und die Emissionsziele bleiben konstant.

Variante 2 (verschärft): jeder Spieler erhält zu Anfang verdeckt nur die Information zu seinen eigenen Kostenstrukturen und Emissionszielen. Die Emissionsziele bleiben konstant.

Variante 3: zeitliche Änderung der Emissionsziele.

Ein Multi-Personenspiel steht in EmiSpiel/ unter EmiHandel.xls und EmiSpieler1.xls, ..., EmiSpieler5.xls zur Verfügung. Es kann im Netzwerk gespielt werden. Welche gruppendynamischen Effekte stellen sich ein, wenn die Simulation unter ähnlichen Bedingungen über mehrere Runden gespielt wird?

 

Fazit

(Ergebnisse aus [Schleich et al., 2002])

 

·         Die Simulation des Emissionshandels ist ein wichtiges Instrument, um im Vorgriff zu überprüfen, ob das Globalziel einer Emissionsminderung zu volkswirtschaftlich minimalen Kosten, erreicht werden kann.

·         Das Verbot von Vorratshaltung (Banking-Verbot) führt zu einer unvollständigen Marktversorgung mit Emissionsrechten.

·         Gute Information und Transparenz (über die Spielregeln des Emissionshandels, über die Kostenstrukturen und Bedarfe der anderen Teilnehmer – und sei es nur indirekt über die Handelsaktionen der vergangenen Perioden) ist wichtig, damit sich ein volkswirtschaftliches Optimum einstellen kann (s. hierzu auch [Schleich et al., 2002]).

·         Planbarkeit (sei es Stationarität der Rahmenbedingungen oder langfristig verläßlich bekannte Vorgaben) ist wichtig, damit sich ein volkswirtschaftliches Optimum einstellen kann.

 

Übungen, Diskussionspunkte

1 Nachdem man eine oder mehrere Varianten der Simulation im Lernspiel durchgeführt hat, lege man Kostenstrukturen und Emissionsziele offen und überlege, welches die volkswirtschaftlich optimale Lösung wäre. Wie vergleichen sich die Ergebnisse (gehandelte Rechte, Handelspreise) mit dem eingeschwungenen Zustand im Lernspiel?

2 Diskutieren Sie, ob es ökologisch bzw. ökonomisch vorteilhaft ist, wenn man Banking zulässt. Überlegen Sie anhand von Spezialfällen, welche Preise sich in einer Ascending Auction einstellen können, wenn Banking erlaubt ist bzw. wenn Banking verboten ist. Klar ist, dass Banking Vorteile bringen kann, wenn sich die Rahmenbedingungen (Emissionsziele) ändern (in welche Richtung?) Argumentieren Sie darüber hinaus, wieso auch bei stationären Rahmenbedingungen Banking ökonomisch wichtig ist.

3 Gegeben seien Emissionsziele und IST-Emissionen aller Unternehmen sowie deren Kostenstruktur für Minderungsmaßnahmen. Mit welcher iterativen Methode kann man die Optimallösung (Erreichen des globalen Emissionsziels bei geringsten volkswirtschaftlichen Kosten) bestimmen? Hinweis: in Teilbeträge zerlegen, Grenzkosten je Unternehmen beachten. Setzen Sie diese Lösung in einem Tabellenkalkulationsblatt um.
[Lösung in
OptimEmi.doc]

4 (anspruchsvoll) Leiten Sie analytisch die Gleichungen für die optimale Lösung bei gegebener Kostenstruktur der Unternehmen und gegebenen Ist- und Soll-Emissionszielen her. D.h. welche Minderungsmaßnahmen bei den einzelnen Unternehmen erreichen das gesteckte Emissionsziel bei geringsten Kosten für die Volkswirtschaft? Spielen die Emissionshandelspreise dabei eine Rolle?

Literaturhinweise

Ehrhart, K.-M., Schleich, J.: Kyoto-Protokoll: Handel mit Emissionsrechten. Spektrum der Wissenschaft, Juli 2003, S. 90.

J. Schleich et al.: „Simulation eines Emissionshandels für Treibhausgase in der baden-württembergischen Unternehmenspraxis (SET UP)“ (2002).  http://www.isi.fhg.de/publ/downloads/isi02b40/emissionshandel.pdf.

M. Müller, M. Rothe: "Emissionshandel – Chancen und Nutzen für Unternehmen", Informationspaket Emissionshandel, Energieagentur NRW, Dez. 2003. http://ea-nrw.im-netzwerk.de/_database/_data/datainfopool/Infopaket_Emissionshandel_Teil1.pdf.

 

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© Wolfgang Konen, 2004, 2005, 11.08.2006