Spiele, Simulation und dynamische Systeme

Exkurs: Die Bundestagswahl 2005 als rückgekoppeltes dynamisches System

Wir erinnern uns: Am 18.09.2005 wurde der Deutsche Bundestag gewählt. Alle Wahlprognosen sahen die CDU/CSU bei 41%, die SPD 6-9 Prozentpunkte darunter, die FDP bei 6-8%. Der tatsächliche Ausgang war aber ganz anders:

Wieso lagen die Prognosen dermaßen daneben? Immerhin wurden viele tausend Leute befragt. Hypothesen:

·         Zweitstimmenkampagne der FDP: Schätzungsweise 3% der CDU-Anhänger haben FDP gewählt. Das erklärt aber noch nicht den ganzen Einbruch der CDU (41%+7%=48% Prognose für CDU+FDP, 35%+10%=45% nach der Wahl)

·         Schwarz-Gelb-Verhinderer: 2-3 Prozent der CDU-Anhänger haben SPD oder Grün gewählt, da sie die CDU sicher vorne wähnten und in eine große Koalition manövrieren wollten.

Aus der Sicht der dynamischen Systeme: Die Wähler verhalten sich mehr und mehr dynamisch (taktisch). Sie wählen nicht die Partei, der sie am nächsten stehen, sondern machen ihre Wahlaussage vom antizipierten Verhalten aller anderen Wähler abhängig. Das ist Rückkopplung.

Gerade weil die Prognosen in der Vergangenheit einmal gut waren, tendieren wir dazu, die Grundaussage "CDU liegt klar vorne" als gegeben hinzunehmen ("Wir brauchen sie ja nicht zu wählen, das tun schon die anderen"). Aber hier rächt sich das dynamische System: Wenn massenhaft viele Wähler so denken, wird der Wahlausgang natürlich anders. Man stelle sich vor, die Zweitstimmenkampagne hätte zu 90% Erfolg: Dann würde die CDU an der 5%-Hürde scheitern!


FAZIT: Es reicht nicht, nur die Leute zu fragen, für welche Partei sie sind, man muss auch ihr tatsächliches Wahlverhalten, ihre taktischen, u.U. der Gesinnung entgegenlaufenden Entscheidungen, modellieren.

Hierzu braucht es Simulation, z. B. in der Form von Schwarm- oder Agentensystemen: Das Wahlvolk ist eine Summe von Individuen, deren Wahlentscheidung auch maßgeblich davon beeinflußt wird, welchen Wahlausgang das einzelne Individuum antizipiert. Damit wird das dynamische System zu einem rückgekoppelten System. Erst wenn wir ein Modell für dieses Verhalten haben (was schwierig ist), kommen wir zu Wahlvoraussagen, die zutreffend sind.

Oder: Wir als Wahlvolk verstehen die Gefahren der rückgekoppelten Systeme und machen uns Gedanken darüber, weniger taktisch zu wählen.

PS: Ein Simulationssystem dafür gibt es schon: Die Wahlstreet, an der die Teilnehmer mit den Wahlerwartungen handeln wie an der Börse. Hier fließen dynamische Systemgedanken mit ins Ergebnis ein. Auch diesmal war die Wahlstreet (geringfügig) besser als die umfragebasierten Prognosen.

Links: www.wahlstreet.de
            www.zeit.de/online/2005/38/wahlstreet_ende


Zurück zur Gliederung

 

© Wolfgang Konen, 20.09.2005