Modell & Metapher


Ein Modell, von lateinisch "modulus" “"Maß, Maßstab", formalisiert einen Sachverhalt in ähnlicher Weise wie ein Algorithmus oder eine Sprache. Die Modellierung stellt eine Abbildung eines Originals durch ein Subjekt mit Hilfe einer Analogie her, wobei das Original wiederum ein Modell sein kann. Analogien stehen als Relationen zwischen der Äquivalenz, der Übereinstimmung in einer Hinsicht einerseits und der Gleichheit, der Übereinstimmung in allen Hinsichten andererseits. Unterschieden werden Analogien, die die Struktur eines Systems abbilden und funktionale Analogien, bei denen das Modell die Leistungen bzw. Ergebnisse eines Originals liefert. Die Übertragung eines Systems mit seinen Elementen und Operationen in ein Modell führt zu einer Verkürzung, Umdeutung oder Ersetzung der Attribute des Originals. Modelle geben damit Informationen über den abgebildeten Gegenstand, ermöglichen das Aufzeigen von unsichtbaren Merkmalen und vermitteln Erkenntnisse von Systemen, die nur sehr aufwendig oder gar nicht zugänglich sind. Die Modellierung leistet neben der Erklärung und Demonstration eines bestehenden auch die Planung eines zuerstellenden Originals. Vorhandene Modelle erlauben die Verifikation von Hypothesen und die Überprüfung oder Optimierung einer Konstruktion durch Experimente. Durch Manipulation der Komponenten eines Modells läßt sich gegebenenfalls dessen Original steuern. Eine mögliche Klassifikation von Modellen ergibt sich über deren Erscheinungen in der Welt. Die Welt gilt als kürzeste Beschreibung und somit als minimales Modell ihrerselbst. Modelle fungieren vor diesem Hintergrund als "mögliche Welten", zumal sich verschiedene Analogien zu einem Original finden oder konstruieren lassen.

Die Unterscheidung in physikalische und nicht-physikalische Modelle liefert eine erste, grobe Einteilung. Die nicht-physikalischen liegen auf einer gedanklichen Ebene, die Metaphern in nicht-formaler Sprache modellieren und die durch mathematische Kalküle oder formale Sprachen Ausdruck finden. Letztere führen, wegen ihrer Repräsentation durch Zeichensysteme, bereits zu Klassen, in denen physikalische Gegebenheiten zu finden sind. Es existieren hier graphische Darstellungen, technische Repräsentationen durch Chemie, Mechanik oder Elektronik und auch natürliche Modelle, die für künstliche oder künstlerische Originale benötigt werden. Das wohl gebräuchlichste graphische Modell ist das Schreiben, das eine gesprochene Sprache auf lesbare Zeichensysteme abbildet. Solche Schriftsprachen entstanden schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte, ermöglichen sie doch eine Kommunikation über die zeitlich aktuelle Situation hinaus. Zunächst standen schematische Darstellungen zur Verfügung, die wahrgenommene Gegenstände der Umwelt auf ihre Umrisse reduzieren, danach wurden, zusammen mit der fortschreitenden Lautsprache, Symbole benutzt, die einer Umdeutung in eine verbale Form bedürfen. Gemeinsam mit den komplexeren, auch heute noch verwendeten Schriftsprachen haben diese früh entwickelten graphischen Modelle die Darstellung auf einer Fläche. Neben der symbolischen, reduzierenden Repräsentation der erkannten Welt in schematischen Zeichnungen wurde und wird versucht die visuelle Wahrnehmung so exakt wie möglich in ein Bild zu fassen. Die Malerei und die Photographie produzieren Modelle, die einen realistischen, wenn auch statischen Eindruck der Wirklichkeit vermitteln.


Abb.1 schematische Zeichnung Großhirn [HÜH] S. 148,

mikroskopische Photographie Neuron [HÜH] S. 142

mikroskopische Photographie Synapsen [HÜH] S. 142


Ein Modell, das mit einfachen zeichnerischen Mittel anschaulich gemacht werden kann, hat Euler(1707-1783) zur Lösung des Königsberger Brückenproblems benutzt. Es besteht aus Punkten, die Gebiete, die durch zwei zusammenfließende Flüsse getrennt sind, repräsentieren und Linien, die die Brücken zur Verbindung der Gebiete darstellen.


Abb. 2 Graph für Königsberger Brückenproblem


Euler versuchte auf diese Weise einen Weg zu finden, der von einen Gebiet aus jede Brücke genau einmal passiert und zum Ausgangspunkt zurückführt. Er konnte abschließend beweisen, daß dieser Weg nur existiert, wenn jedes Gebiet eine gerade Anzahl Brücken besitzt. Allgemeiner werden die Punkte eines solchen Graphen als Knoten, englisch "vertices", und die Linien als Kanten,"“edges", bezeichnet, wobei die Knoten Objekte und die Kanten deren Beziehungen zueinander vertreten. In der Graphentheorie werden Knoten und Kanten als Elemente von Mengen behandelt, daher lassen sich Probleme sehr allgemein mit Hilfe von Graphen anschaulich formulieren. Die Informatik modelliert mit Graphen neben statischen Datenstrukturen im Entity-Relationship-Model auch dynamische Prozesse, wie Algorithmen mit ihren Zuständen als Knoten und den Zustandsübergangsfunktionen als Kanten. Die aus der Psychologie bekannten semantischen Netzwerke lassen sich ebenfalls mit Graphen modellieren.


Abb. 3 Graph für semantisches Netzwerk


Eulers Problem, das sich auch geographisch interpretieren läßt, verweist auf eine weitere, essentielle Modellierung der menschlichen Erfahrungswelt, nämlich die Kartographie. Land- und Seekarten vermitteln Informationen über Positionen und Verhältnisse im Bewegungsraum des Menschen, die eine Orientierung in einem Maßstab ermöglicht, der über das sinnliche Wahrnehmungsvermögen hinausgeht. Karten bilden aus der Vogelperspektive oder anderen, von der Oberfläche abgehobenen Positionen räumliche Gegebenheiten projektiv auf eine Ebene in verkleinertem Maßstab ab.


Abb. 4 Karte Königsberger Brücken


Zur Beschreibung und Erklärung der menschlichen Erfahrung dienen schon seit der Antike unterschiedliche Weltbilder. Das heutige naturwissenschaftliche Modell der Welt stellt die Objekte in einen kausalen und evolutiven Zusammenhang, der sowohl die Biosphäre als auch die nicht-organische Materie einbezieht. In der klassischen Physik Newtons und Maxwells wird eine "körnige" Struktur zugrundegelegt, wo lokale Punktmassen in Raum und Zeit durch Kräfte in Wechselwirkung treten. Der Raum wird durch die Axiomatik der euklidischen Geometrie modelliert, dem Descartes den Begriff eines Koordinatensystems hinzufügt, in dem drei Bestimmungsgrößen einen Punkt im dreidimensionalen Anschauungsraum festlegen. Der absolute Zeitbegriff der klassischen Physik, mit seiner metrischen Bestimmbarkeit unabhängig von anderen Gegenständen, wird durch die Relativitätstheorie revidiert, die die Dauer oder Zeitspannen als abhängige Größen vom messenden Beobachter relativ zum betrachtenden Objekt sieht. Die drei Raumdimensionen und die Zeitdimension werden zu einem vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum, der Raumzeit, verkoppelt, in der die Lichtgeschwindigkeit als invariante Größe feststeht und Masse und Energie ineinander umwandelbar sind.


Abb. 5 Modellzeichnung Raumzeit vgl. [HAW] S. 42-47


Die Entdeckungen, die in der Quantentheorie zusammengefaßt sind, lassen zwar ein Modell aus eindeutig lokalen Elementen und deren Kompositionen nicht mehr zu, für die materiellen Verhältnisse in der erfahrbaren Umwelt genügt allerdings zur Beschreibung und Erklärung das mechanistische Weltbild, das die für das tägliche Leben relevanten, technischen Errungenschaften ermöglichte. Für die Berechnung dreidimensionaler Objekte und deren Dynamik reicht sogar Newtons mechanische Physik aus, die auf der Geometrie Euklids aufbaut. Das mathematische Modell liefert hierzu eine Algebra mit Vektoren und Matrizen als Elementen. Vektoren stellen eine Relation der Dimensionen eines Raumes dar, Matrizen erlauben Koordinatentransformationen der so beschriebenen Objekte. Transformationen sind erstens die maßstäbliche Vergrößerung oder Verkleinerung, die Skalierung, zweitens die Verschiebung, die Translation und drittens die Drehung, die Rotation. Neben diesen Operationen innerhalb einer gegebenen Dimensionalität transformiert die Projektion Elemente eines Koordinatensystems in ein anderes. Für diese Berechnungen sind Algorithmen bekannt und somit lassen sich euklidische Geometriemodelle auf einem Computer implementieren. Bei Computern, den komplexesten Maschinen, die Menschen hergestellt haben, handelt es um eine Modellierung physikalischer Gesetzmäßigkeiten, mit deren Hilfe sich wiederum Modelle verschiedenster Originale konstruieren lassen. Die bildliche Wiedergabe der Informationen basiert im Wesentlichen auf der Idee, die visuelle Wahrnehmung einer Ebene in möglichst viele Punkte aufzuteilen, denen verschiedene Farb- und Helligkeitswerte zugeordnet werden. Die Qualität der Darstellung auf den gebräuchlichen Ausgabemedien hängt, wie auch in der Photographie, von der Anzahl und der Distanz der sichtbaren Bildpunkte ab. Die Rasterung der räumlichen Dimension läßt sich auch für die Zeit vornehmen, so daß Animationen durch die Aneinanderreihung von Einzelbildern entstehen. Die Qualität wird durch die Anzahl an Bildern pro Zeiteinheit bestimmt. Dieses Visualisierungsmodell findet in der Film- und Fernsehtechnologie Anwendung und wird zunehmend auf Datenverarbeitungsanlagen übertragen, wo zur bloßen Wiedergabe der gespeicherten visuellen Daten, deren Berechnung aus den dreidimensionalen Geometriedaten hinzukommt. Unter der gleichzeitigen Anwendung optischer und zusätzlich auditiver und anderer Medien, gilt die "virtuelle Realität" als die derzeit beste, auf Maschinen technisch realisierbare Modellierung der erfahrbaren Welt. Auf der Seite der nicht-physikalischen Welt der Erkenntnisse und des Wissens bemüht sich die Forschung der "künstlichen Intelligenz" um eine Modellierung, ebenfalls unter Anwendung der Computertechnologie. Der unzureichende Kenntnisstand, was menschliche Intelligenz überhaupt ausmacht, hat in diesem Bereich allerdings erst zu bescheidenen Ergebnissen geführt, weshalb die Metapher des“"Elektronengehirn" für Computer stark an Originalität verloren hat.


Metaphern (vgl. [KUH]) transzendieren Begriffe einer Quelldomäne auf Begriffe einer Zieldomäne und erlauben nach Sweetser das Verständnis eines Dings als ein anderes, ohne daß beide Dinge auf dasselbe zielen. Metaphern, und auch Modelle, sind abbildende Vergleiche. Lakoff und Johnson beschreiben das teilweise Verständnis einer Art von Erfahrung in Begriffen einer anderen Art von Erfahrung als Primärfunktion von Metaphern. Sie agieren als Sinngeber durch koherente Konzepte. Die Zieldomäne wird durch Projektion der Quelle strukturiert und die Wahl der Quelldomäne bestimmt eine effektive Problemlösung. Die meisten fundamentalen Konzepte sind in Begriffen von Räumlichkeitsmetaphern organisiert und Minsky unterstellt, daß das Denken im späteren Leben auf der Erfahrungswelt von Räumlichkeit basiert, die im frühen Leben erlernt wurde. In der Kognitionstheorie findet man das Modell Räumlichkeit im Urteilen und Denken, in der Sprache und im Handeln. Die Schaffung von Räumlichkeit durch Metaphern ist in der Lage, Zieldomänen zu organisieren, denen Wahrnehmungsaspekte fehlen und Komplexität zu verwalten. Natürlich ist Räumlichkeit auch die Domäne, in der der Mensch die meiste Erfahrung besitzt. Eine Einteilung in große bzw. kleine Maßstäbe von Räumlichkeiten erfolgt relativ zum menschlichen Körper. Die Räumlichkeiten kleineren Maßstabs sind die Domäne der euklidischen Geometrie. Die Objekte können bewegt und gedreht werden und die direkte Manipulation liefert dem Beobachter alle Informationen. Objekte in Räumlichkeiten größeren Maßstabs können hingegen nicht direkt manipuliert werden. Die Information wird hier durch die Bewegung des Beobachters vermittelt. Die Entitätensicht der Metaphorik von Räumlichkeit fragt, wo etwas ist. Es existieren diskrete Objekte mit ihrem Platz, Umriß und ihrer Größe und Raum wird durch diese diskreten Entitäten geschaffen. Als räumliche Relationen gibt es Grenze, Schnitt und Beinhalten. Die Lokation ist als Attribut eines Objektes verstanden. Die Feldsicht dagegen fragt, was hier ist. Kontinuierliche Eigenschaften werden an bestimmten Orten zusammengefaßt. Es existieren unendliche Mengen von Punkten mit den ihnen zugehörigen Attributen, was eine Ableitung der Objekte durch Klassifikation erlaubt. Der Begriff des Referenz-Rahmens lokalisiert Objekte nur relativ zu anderen Objekten. Es gibt eine Einteilung in egozentrische und allozentrische Referenz-Rahmen. Bei egozentrischen Referenz-Rahmen sind zwei Symmetrieachsen sichtbar, die sich in der Vertikalen schneiden. Diese ist auch die erste prinzipielle Trägheitsachse. Die Hauptmerkmale der Umgebung bestimmen auf der anderen Seite den allozentrischen Referenz-Rahmen für alle Beobachter, z.B. Himmelskörper oder strukturelle Elemente einer Landschaft. Anderson führt räumliche Vorstellungsschemata ein, die konzeptuelle Strukturen bilden, aber nicht Dimensionen aufzeichnen. Als Beispiele mögen die Metaphern Container, Verkettung, Nah-Fern-Beziehung, Verschmelzung, Passung, Oberfläche, Formung, Zentrum-Peripherie-Beziehung, Skalierung, Teilung, Überlappung, Gegenstand, Pfad, Zyklus, Teil-Ganzes-Beziehung, Leer-Voll-Attributisierung und Kontakt dienen. Räumlichkeit bietet damit dem einzelnen Modellbenutzer Bewegung, Urteilen, Navigation und Repräsentation. Dem Benutzer und individuellen Entitäten der Modellwelt gewähren sie Ziel, Erkennen, Identifizierung, Bewegung, Verstecken, Zugriff, Empfinden, Interpretation, Manipulation, Ort bzw. Lager, Suchen bzw. Finden und Eintritt. Einem Benutzer und mehreren Entitäten erlaubt die Räumlichkeitsschaffung Unterscheidung, Organisation und Rang, Assoziation und Aggregation und Relation und nicht zuletzt das Mustererkennen. Derartige Raummodelle stellen mehreren Benutzern Begegnung, Kommunikation, Kooperation und Privatheit bzw. Eigentum zur Verfügung. Die meisten Quelldomänen für Räumlichkeits-Metaphern entstammen ein paar wenigen Variationen gewöhnlicher Erfahrungen, als da sind Tisch, Raum, Haus und Stadt. Prototypische Räumlichkeiten können als Instantiierungen von Vorstellungsschemata betrachtet werden. Wichtige Teile solcher Schemata sind beim Tisch dessen Platte und Beine, beim Haus der Flur, der Keller, das Dach oder der Garten. Zur Vorstellung von Stadt gehören der Häuserblock, das Viertel und die Nachbarschaft. Als weitere prototypische Räumlichkeit sei noch eine Landschaft mit Tal, Berg und Ebene genannt. Hieraus ergibt sich, daß Kombinationen von Metaphern hierarchische Assoziationen von Konzepten darstellen. Weitere Elemente prototypischer Räumlichkeiten sind die Verkettung mittels Tür, Fenster oder Tor, der Pfad als Weg, Straße, Gleis, Fluß oder Brücke und die Konfiguration durch Netzwerk oder Labyrinth. Elemente ohne Prototypencharakter sind dagegen bewegliche, wie Tiere, unbewegliche, wie Mobiliar oder fiktive, wie Himmel und Hölle. Die modellierten Zieldomänen müssen genügend komplex sein, damit sie der Kraft von Metaphern bedürfen. Sie sollen eigentlich divergent sein, haben dennoch eine Organisiertheit. Sie stehen oft in metonymischer Beziehung zur Quelldomäne. Metaphern beinhalten immer eine ganze Hierarchie von Super- und Submetaphern und damit auch, daß, je besser die Übertragung einer Metapher gelingt, die Hierarchie desto tiefer gestaffelt ist. Die Abbildung durch eine Metapher liefert ebenfalls den Kontext, sie definiert deren Bedeutung und begrenzt ihren Umfang. Das wichtigste Kriterium für Metaphern ist ihre Brauchbarkeit, nicht wie bei Algorithmen die Effektivität. Metaphorik und Modellierung stehen durch ihre Pragmatik in der Nähe zu Heuristiken und ihre begriffliche Subjektivität erhalten sie durch ihren Benutzer und ihren Ersteller.


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Inhalt

Uwe Poborski: KategoSphär