Eine Ära

Bei einem Spaziergang durch das Zentrum von Gummersbach kann man den beiden Objekten begegnen, die auf diesen Fotos dargestellt sind.
lokDas erste zeigt eine Lokomobile, d.h. eine dampfbetriebene Zugmaschine. Sie steht auf dem ehemaligen Steinmüller-Gelände. Das zweite zeigt eine Schweißskulptur, die man, etwas versteckt, hinter dem Rathaus finden kann.
Beide kennzeichnen den Anfang und das Ende einer Ära, in der Gummersbach weltweit von Bedeutung war. Dahinter steht eine Firmengeschichte, die im folgenden kurz dargestellt werden soll.1855 gründet der Musiklehrer Peter Wilhelm Eberhard Steinmüller zusammen mit seinen 3 Söhnen Wilhelm, Lebrecht und Carl in Gummersbach eine Papierfabrik zur Herstellung von Wachs- und Glaspapier, die sich recht gut entwickelte. Der älteste Sohn Wilhelm machte sich als Textilkaufmann selbstständig; Lebrecht und Carl übernahmen 1864 das Unternehmen und gaben ihm den Namen Papierfabrik L&C Steinmüller.
Die Produktion brachte auch wachsende Logistik-Probleme, da ein Bahnanschluß in das Oberbergische zu der Zeit noch nicht existierte. Deshalb kauften die Steinmüllers zu Anfang der 70er Jahre in England eine Lokomobile für den Straßenverkehr. Sie ist auf dem Foto zu sehen, hat sich jedoch in unserer buckligen Landschaft nicht bewährt: da sich bei dem Auf und Ab der Straßen der Wasserstand nicht konstant halten ließ, war das System sehr störanfällig. Die Erfahrungen mit dieser Maschine, sowie eine allgemeine Info über den Stand der Technik 1873 auf der Wiener Weltausstellung brachten die beiden Brüder zu dem Entschluß, eine eigene Dampfkesselkonstruktion zu bauen mit dem Ziel eines explosionssicheren und zuverlässigen stationären Dampferzeugers. Die physikalischen Voraussetzungen der Dampferzeugertechnik waren in dieser der Zeit schon bekannt. Die Probleme bei höheren Drücken und Temperaturen lagen in der Fertigungstechnik.
Das Unternehmen gelang. Im Jahre 1873 wurde das Produktprogramm erweitert und die Firma nannte sich "Papier-, Kesselfabrik und Eisengießerei von L&C Steinmüller" (LCS). 1874 wurde der erste Steinmüller-Dampferzeuger in Betrieb genommen und 1878 folgte eine patentierte Wasserrohrkesselkonstruktion, die noch heute im Deutschen Museum in München ausgestellt ist.
Lebrecht Steinmüller starb 1899 und hniterließ 5 Töchter, die im Rahmen der Firma nur als Erben eine Rolle spielten. 1909, nach dem Tode von Carl Steinmüller, übernehmen dessen Söhne Carl Hugo und Lebrecht Steinmüller in der dritten Generation die Firma. Auch hier war wie in der vorausgegangenen Generation Lebrecht der Ingenieur, während Carl Hugo der Manager war. Lebrecht entwickelte nicht nur die Kesseltechnik weiter, sondern widmete sich auch der Feuerung, und dabei besonders der Weiterentwicklung der Rostfeuerung und dazu wurden auch Versuchsanlagen im Werk erstellt.
Lebrecht starb 1937 kinderlos. Carl Hugo hatte neben einem Sohn noch 3 Töchter: Sein Sohn Carl Eberhardt, fiel 1944 in Frankreich. Carl Hugo verstarb 1959. Damit war die männlich Steinmüller-Linie erloschen.
Bis 1968 lag die Geschäftsführung noch in der Hand von eingeheirateten Familienmitgliedern, danach waren es fremde Manager. Trotzdem handelte es sich bis zum Jahre 1990 um ein konzernfreies Unternehmen im Familienbesitz, wobei deren Interessen und die der Firma immer schwerer zu bündeln waren.

Die Entwicklung der Firma. Steinmüller verlief stetig aufwärts. Man beschäftigte 1909 650 Arbeiter und Angestellte, 1937 waren es 2386 und Mitte der 70er Jahre knapp 3000 in Gummersbach; mit der Beteiligungsgesellschaft in Finnland und der Tochterfirma in Südafrika waren es über 5000.
Die Papierfabrik wurde nach dem Tode Carl Hugos aufgegeben.

skulptur1990 übernahm der Baukonzern Philipp Holzmann 74,9% Anteile von der Familie, der Rest ging an die VEW Dortmund. Als LCS - Mitarbeiter war man darüber nicht traurig, da im Anlagenbau die Zeiten schwierig waren und man sich bei einem großen Konzern sicherer fühlte.

1999 kam der Holzmann- Konkurs. Für 340 Mio. DM übernahm der marode Babcock-Konzern die LCS - Anteile von Holzmann. Die Fertigung wurde sofort geschlossen, die Energietechnik nach Oberhausen verlegt; nur die Umwelttechnik sollte unter dem Namen Babcock-Steinmüller Environment in Gummersbach verbleiben. Nach kurzer Zeit wurde der Name Steinmüller ganz gestrichen und der Name in Babcock Borsig Environment umgewandelt.
Der Babcock-Konkurs 2002 beendete auch dieses Relikt.

Damit schließt sich der Kreis zu dem zweiten Foto. Es entstand in den letzten Tagen vor der Schließung der Fertigung 1999 in der Schweißerei. Die Skulptur zeigt im Vordergrund einige Hauptkomponenten eines Dampferzeugers wie Sammler und Rohrwand. Im Hintergrund sind einige Gestalten dargestellt, die verzweifelt um Hilfe rufen. Umsonst, wie wir wissen!

Auch die LCS - Mitarbeiter waren letztlich mit vielen tausend anderen das Opfer eines Mannes: Friedel Neuber, Vorstand der WestLB von 1981 bis 2001, Aufsichtsratsvorsitzender der Preussag/TUI, von Babcock und von RWE, auch der "rote Pate" genannt. Er konnte Geldströme und Posten in alle Richtungen lenken. Durch diese "politische Landschaftspflege" machte er nicht nur seine eigene Partei sondern auch die übrigen Parteien, einschließlich die Gewerkschaftsfunktionäre mundtot.

Theo Burkard (Jan. 2005)